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Chronik des Volkstrachtenvereins Wartenberg

 

Man schrieb das Jahr 1923, es war Inflation. Für den Dollar bezahlte man Anfang Mai 34.200 Mark, der Zentner Kartoffeln kostete zwar nur knapp 3.000, die Maß dunkles Bier ein Monat später allerdings ebensoviel. Dafür hatte eine vierköpfige Arbeiterfamilie aber ein wöchentliches Einkommen von 90.000 Mark! Auch in unserem Markt Wartenberg war das alles deutlich spürbar. Der Bürgermeister etwa bekam 20.000 Mark Aufwandsentschädigung im Mai, im Juni wurde der Brückenzoll über die Strognbrücke beim Kachl auf 200 Mark pro Zugtier erhöht. Die Leute in Wartenberg damals waren reich an Geld, aber sonst arm und hatten schon Jahre der Entbehrung durchlitten. Am härtesten hatte den Ort sicher der Verlust von 52 seiner Söhne getroffen, die aus dem bis dahin unsinnigsten aller Kriege nicht mehr zurückgekommen waren. Adelsberger Franz, Georg und Matthias, Aichner Johann, Bauer Kaspar und Korbinian, Brandhuber Nikolaus, Braun Johann, Brenninger Xaver, Brunner Andreas und Ludwig waren darunter, um nur durch die ersten beiden Buchstaben des Alphabets durchzuzählen. Aber Wartenberg war trotz allem Wartenberg geblieben. Die damals gut 1100 Einwohner kannten sich untereinander. Noch hatte es wie zum Beispiel 30 Jahre später nicht Hunderte von Fremden, bedauernswerten Flüchtlingen, in den Ort verschlagen. Die jungen Burschen waren von der Schulbank an miteinander aufgewachsen und saßen später wieder mangels Fahrgelegenheit miteinander an den Tischen der Wartenberger Wirtshäuser. Sie tranken das teure Bier, sangen Schnadahüpfe und Gstanzln und einige trugen ganz entgegen der Mode ihrer Väter kurze Lederhosen, wie sie es beim Holzarbeiten im Gebirge gesehen und schätzen gelernt hatten. Sogar das Schuhplattln hatte es ihnen angetan. Die alte Art sich zu kleiden, war allenthalben fast vergessen, die Bürger- und Bauerntrachten waren schon seit Jahrzehnten aus dem Ortsbild verschwunden.
In jenem Mai 1923 war dann bei diesen trachtenbegeisterten Wartenberger Burschen der Gedanke soweit gereift, sich doch zu einem Trachtenverein zusammenzuschließen, ihre Freude für das Trachtengwand und die Pflege von Sitte und Brauch nach außen hin auf solche Weise auszudrücken. Im Oberland gab es schon seit Jahrzehnten Trachtenvereine. Auch in der Bezirkshauptstadt Erding existierte schon einer seit längerer Zeit. Im Bründlhof kamen sie also zusammen und gründeten, vorerst ein wenig formlos, ihren Volks- und Gebirgstrachtenverein "Immergrün": Der Obermeier Xaver, der GebeI Ignaz, der fleißig Zither spielte und auch gleich Vereinsmusiker wurde, Summerer Paul, Hobmeier Albert, Kammerer Sepp, Göbl Max, Egger Hans und Stöhr Jakob waren da, der Burger Hans und Kurzenberger Kaspar und auch Egger Rupert sen. natürlich, der damals ein großer Plattler gewesen sein muß und das Amt des Vorplattlers übernahm. Der erste und zweite Vorstand oder auch umgekehrt waren Hobmeier Albert und Obermeier Xaver, die Kasse führte der Göbl Max, das Protokollbuch Kurzenberger Kaspar. Die Wartenberger DeandIn waren dabei schwach vertreten von Detterbeck Maria und Babette und Göbl Maria. Wahrscheinlich hat es bei ihnen an der nötigen Miesbacher Tracht noch ziemlich gefehlt, die ja einige von den Burschen schon teilweise besessen hatten. Wir dürfen uns ohnehin die frühen Wartenberger Trachtler nicht so fein und einheitlich gewandet vorstellen, wie wir es bei heutigen Vereinen gewohnt sind. Das Geld war halt knapp. Der Kassier konnte die ersten Jahre die Barschaft des Vereins vermutlich in der Hosentasche herumtragen; bei 20 Pf. Monatsbeitrag, den Arbeitslose zudem gestundet erhielten, kein Wunder.
Leider ist fast alles aus der Frühzeit des Vereins nur mehr mündlich überliefert. Schriftliche Unterlagen oder Bilder, die uns über das Leben des jungen Vereins berichten könnten, gibt es nicht mehr. Im Jahre 1936 scheint man ihn endgültig zwangsweise in die "Kraft durch Freude" integriert zu haben und mit deren Akten, die ja bei Kriegsende verschwinden mussten, ist wahrscheinlich auch das "schriftliche Gedächtnis" für die Vorkriegszeit der Trachtler endgültig abhanden gekommen. Bruchstückhaft, nur noch in Form einzelner Mosaiksteinchen, lässt sich Weniges erzählen.
Ende Januar 1925 war die große, vielberedete Bauernhochzeit des Arbeiter- und Krankenunterstützungsvereins über die Bühne gegangen. Das war wohl unseren Jungtrachtlern Anlass, den Trachtengedanken in Wartenberg noch mehr an die Öffentlichkeit zu tragen und den Verein auf eine noch festere Grundlage zu stellen. Sie legten sich endgültig eine Satzung zu, die vom 1. März 1925 datiert. Der Forderung des Paragraphen 9, dass jedes Mitglied "sich mit sämtlichen Mitgliedern und deren Angehörigen freundlich zu vertragen" habe, wurde sicher nachgekommen, denn die Wartenberger vertrugen sich schon sehr gut mit den Trachtlern aus Moosburg, Erding und Grünbach, die zu dieser beschlussfassenden Versammlung ihre Vertreter geschickt hatten. Man kannte sich wohl schon. Auch der Vorsitzende des damaligen Gaues "Unterer Isargau" aus Freising war anwesend. Unsere Trachtler hatten nun zumindest die Möglichkeit, auch auf Gauebene aktiv zu werden. Zu den Grünbachern haben immer enge Beziehungen bestanden und der für Juni 1928 überlieferte Besuch der Wartenberger beim Bruderverein war wohl keine Ausnahme. Wir wissen ja heute, dass eine sozusagen lebenslange Freundschaft daraus entstanden ist.
Ab Mitte der zwanziger Jahre waren die Zeiten etwas besser und der Verein konnte es sich leisten, seine Christbaumfeiern und Trachtenbälle in der Zeitung zu inserieren. Bei der Weihnachtsfeier 1926 im Bayerlsaal wagte man sich sogar ans Theaterspielen. Der Berichterstatter der Presse kam nicht umhin, die Feier "in allen Teilen als wohlgelungen" zu bezeichnen. "Die beiden Einakter wurden sehr gut gespielt. Schuhgeplattelt wurde vorzüglich. Der Saal war übervoll und hätte nochmals so groß sein dürfen." Was wollte man mehr! Der Verein begann sichtlich aufzublühen. Allzu lange jedoch sollte es nicht vorwärts gehen. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 war dazu angetan, das Vereinsleben finanziell zu hemmen, das "Tausendjährige Reich" brachte wie schon erwähnt, die De-Facto-Eingliederung in die "Kraft durch Freude" und das ließ kaum mehr Selbständigkeit zu. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs bedeutete dann das vorläufige Ende. Aus den Trachtlern wurden zwangsweise Soldaten und viele von ihnen sind nach Wartenberg nie mehr zurückgekehrt.
Aber der Verein war nicht tot. Eine kleine Schar fand sich bereits Anfang 1946 um Vorstand Albert Hobmeier wieder zusammen. Norbert Kellnberger, Balthasar Scherzl, Heinz und Leni Pfeiffer, Martin Haas, Willi Adelsberger und Brigitte und Hilde Allwang sind in den Listen verzeichnet. Andere, wie Hans Burger und Rupert Egger sen befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. Der Neuaufbau konnte natürlich nicht im Großen vor sich gehen, vor allem die Zahl der aktiven Trachtler war noch gering: kaum einer hatte Geld, sich eine Ausstattung neu zu kaufen. Immerhin konnten sich 1947 dann schon 43 Mitglieder im "Gasthof zur Post" treffen, der neben dem Bründlhof wohl schon vor dem Krieg und auch wieder von 1969 bis 1995 Vereinslokal war. Von 1949 bis 1958 wurde der Verein übrigens vom Gasthaus Rudolf Scherle, anschließend bis 1969 vom Brädl beherbergt, die beide nicht mehr bestehen. Seit 1995 hat er seine Unterkunft im Hotel Reiter. Bei den Wirten fanden und finden jeweils die Versammlungen und Plattler- bzw. Tanzproben statt Bis etwa 1949 fielen die Monatsversammlungen jeweils auf den ersten Samstag im Monat und wurden dann auf den letzten Samstag gelegt. Die Generalversammlungen verschoben sich auch um diese Zeit von Januar auf Ende September.
Doch nun wieder zurück zum Jahr 1948. Josef Singer war damals bei schon 69 Trachtlern Vorstand. Der Verein begann wieder das "Komödiespielen", um Geld in die Kasse zu bekommen. Im Februar dieses Jahres brachte man insgesamt 9 mal unter Leitung von Georg Kroll das Stück "Der bayerische Hiasl" auf die Bretter. Der spielerische und vor allem der finanzielle Erfolg war in Anbetracht der Zeit überwältigend. Doch die Freude über das schöne Geld hielt nicht lange an, die Währungsreform im selben Sommer machte alles zunichte, die Finanzen des Vereins standen wieder auf Null.
Im Januar nächsten Jahres übernahm der unvergessene Burger Hans energisch die Vereinsleitung. Von einer Mitgliederzahl von nunmehr 74 ging es langsam aber dauernd bergauf, der Verein entfaltete zahlreiche Aktivitäten. Beim 25jährigen Stiftungsfest der Grünbacher beteiligte er sich mit einem Festwagen, der ein Modell der Wartenberger Burg zeigte und erhielt dafür prompt den 1. Preis. In zwei Jahren spielte die Theatergruppe unter der Regie von Albert Kropp die Volksstücke "Jennerwein der Wildschütz", "Jennerweins Ende", "Die drei Eisbären" und "St. Peter in St. Paul". Es gelang, die Laienschauspieler "zu einem harmonischen Ensemble zusammenzuschmelzen, das keinerlei Dissonanz aufzuweisen hatte". Der finanzielle Ertrag war wiederum recht erfreulich und der Verein konnte sich endlich seinen langgehegten Wunsch erfüllen, seine erste Fahne anzuschaffen. Die Fahnenfabrik Haslem aus München lieferte das wertvolle Tuch, das auf der Vorderseite ein tanzendes Paar in Gebirgstracht, auf der Rückseite die Burg Wartenberg zeigt, für den damals ansehnlichen Betrag von 1050 DM.
Der 22.Juli 1951 gestaltete sich zum wahren Festtag für die Wartenberger Trachtler, auf den man sich am Vortag mit einem Heimatabend schon entsprechend eingestimmt hatte; neben vielen anderen war da Schneidermeister Stöckl mit einer "original Bayerischen Tracht aus dem 17. Jahrhundert" aufgetreten. In einem feierlichen Gottesdienst auf der Tribüne am Marktplatz beim Hasler-Schmied weihte Pfarrer Huber die neue Fahne. Die Patenschaft hatte selbstverständlich "Waldeslust" Grünbach unter seinem Vorstand Bart! Huber übernommen. Fahnenmutter war Maria Ostermeier, als stolze Festjungfrauen standen ihr Leni Braun, Kathi Burger, Anneliese Dick, Anni Hofmayr, Anni und Hilde Steinberger zur Seite. Dicht gedrängt säumten die Zuschauer die Straßen. Der Festzug, an dem 40 Vereine teilnahmen, bot ein farbenprächtiges Bild, "es war eine wirklich denkwürdige Trachtenschau, die Wartenberg noch nie erlebte." Der Verein war innerlich großartig zusammengewachsen und genoss nun schon überörtlich einen guten Ruf. Am Oktoberfest-Trachtenzug nahm er erstmals 1951 teil und war gern gesehener Gast auf Gründungs- und Gaufesten oder Fahnenweihen. Vorstand Hans Burger hat, aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, 1955 sein Amt bestimmt nicht leichten Herzens abgegeben. In seine Fußstapfen trat der Adelsberger Willi, bis schließlich 1961 Egger Rupert jun. das Ruder in die Hand nahm und einen erfolgreichen Kurs weiterverfolgte. Zum Dank für seine Aktivitäten erhielt der Verein die Ausrichtung des 44. Isargaufestes am 6. und 7. Juli 1963 übertragen. Natürlich auch deshalb, weil er gleichzeitig mit diesem Fest seinen 40. Geburtstag feiern durfte. Der Schirmherr, Bürgermeister Stuhlberger, konnte 3000 Gäste im vollbesetzten Festzelt zu einem "von Anfang bis zum Ende gelungenen Heimatabend" begrüßen. Sage und schreibe 3200 Trachtler aus 62 Vereinen zogen Tags darauf bei strahlendem Wetter durch den Markt, begeistert gefeiert von fast 7000 Zuschauern. Und der Gauvorstand bemerkte anerkennend, er habe "wohl selten einen so reichen Fahnenschmuck gesehen, als gerade hier in Wartenberg". Der Markt war stolz auf seinen Trachtenverein. Es war auch so, "dass die Vereinsmitglieder keine Opfer und Mühen scheuten und in intensiver Überlegung eine meisterhafte Vorarbeit geleistet haben, damit das Fest gelingen möge." Solch ein Fest feiert man schließlich nicht alle Tage! Der zahlreiche Besuch hatte sich für die Wartenberger Trachtler mehr als ausgezahlt, eine Menge Geld blieb in der Kasse übrig. Dieser Grundstock, großzügige Unterstützung von Marktgemeinde und Landkreis und die Aufgeschlossenheit vieler Mitglieder ließen den Verein das Wagnis eingehen, von der Miesbacher Gebirgstracht auf eine bodenständige Volkstracht umzustellen. In altem Bildmaterial und erhalten gebliebenen Trachtenteilen fand man die Vorlagen, um die Tracht der Wartenberger Umgebung, wie sie Ende des 19.Jahrhunderts bestanden hatte, zu rekonstruieren. Wie sie aussieht, braucht man ja wohl hier nicht zu beschreiben. Lederhosen, Stiefel, Janker, Westen und Hüte für die Männer wurden von zum Teil hiesigen, wie Ostermeier, Stöckl oder Fuchs, zum Teil auswärtigen Handwerkern angefertigt. Die Frauentracht entstand hauptsächlich in Eigenarbeit der DeandIn des Vereins, angeführt von Egger Fanny und Kroiß Anni. Von den Schwierigkeiten, die ganze Auszier, die Silberknöpfe, Riegelhauben und Brautkronen zu besorgen, wissen all jene ein Lied zu singen, die bei dieser Sammelaktion dabei waren. Monatelang haben sie damals auf vielen hundert Kilometern Fahrt die weitere Umgebung abgeklappert und die Beute war trotz allem, wie sie stolz berichten, und es ja auch den Anschein hat, nicht gering. Auf Anhieb konnte man 15 Paare einkleiden, nach und nach wurden es immer mehr .Ja, sie waren jetzt ein echter Volkstrachtenverein, die Wartenberger. Sie plattelten nicht mehr, sondern tanzten ausschließlich, was sich hinter den Kulissen in der Änderung der "Amtsbezeichnung" Vorplattler in Vortänzer niederschlug. Langeweile kam nie auf. Unsere Trachtler wurden ihrer farbenfrohen und gepflegten, ihrer bodenständigen Erscheinung wegen noch häufiger eingeladen. Sie marschierten auf Gaufesten und Oktoberfestzügen, tanzten auf Heimatabenden, bei der deutschen Schnupfmeisterschaft, bei der Einweihung der Münchner Fußgängerzone oder auf der Schlussfeier der Olympischen Spiele 1972. Schließlich galt es, am 8. und 9.Juni 1974 das 50jährige Gründungsfest, verbunden mit Fahnenweihe und 55. Isargaufest zu feiern. Es war damals eine Renovierung der Fahne nötig, die ziemlich teuer erschien. So entschloss sich der Verein, gleich eine neue anzuschaffen, die außerdem besser zur neuen Tracht passt und im Bild ein Paar in der Wartenberger Volkstracht zeigt. Die Kosten von stolzen 4800 DM brachten die Mitglieder auf, davon allein Norbert Kellnberger einen Tausender. Beim Patenbitten in Grünbach blieb den Wartenbergern sogar das berüchtigte Holzscheitl- Knien erspart, weil, "da Rupp hat oiwei mitm Miniskus ztoa, und die Wartenberger Dirndln ham so zarte Knia". Ganz selbstverständlich übernahm "Waldeslust" Grünbach die Patenschaft. Als Fahnenmutter konnte man ebenfalls wie vor 23 Jahren Maria Ostermeier gewinnen. Die Festjungfrauen hatten natürlich gewechselt und zwar versahen diesen Dienst nun Resi Busch, Gertrud Deimel, Elisabeth Egger, Hilde Huber, Anita Konstanczak, Regina Lammel, Christine Obermeier und Brigitte Scherzl. Der Schirmherr war wiederum gleichgeblieben, nämlich Bürgermeister Stuhlberger. Alles war bestens vorbereitet, für den erwarteten Besucherandrang stand ein 4500-Mann-Zelt zur Verfügung. Es war auch gerammelt voll, als am Samstag nach einer Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal in gewohnt guter Manier der Heimatabend über die Bühne ging, von dem auch der Jubelverein ein Gutteil selbst bestritt. Die Hochstimmung verwässerte sich aber beim Heimweg sehr, weil es in Strömen goss und der weitere Verlauf, ja eigentlich der Höhepunkt des Festes in Frage stand. Wenn es dann aber auch frühmorgens beim Wecken noch leicht tröpfelte, der feierliche Gottesdienst mit Fahnenweihe, zelebriert von Prälat Eisenhofer aus München, konnte programmgemäß am Marktplatz beim Straßerhaus stattfinden. Die Wartenberger Volksmusik und der Männergesangverein mit der Waldlermesse gaben den musikalischen, das Spalier der Vereinsfahnen einen farbenfrohen, prächtigen optischen Rahmen. Ab 14 Uhr bewegte sich dann der Festzug eine Stunde lang durch den Markt und stellte natürlich alle bisher hier gesehenen Trachtenzüge, was Zahl oder Vielfalt anging, in den Schatten. Es schien wirklich so, dass an jenem Tag Wartenberg das "Mekka der Trachtler" war, wie die Zeitung in der Schlagzeile vermerkte. So um die 4500 Teilnehmen aus 82 Vereinen waren es, 10 Musikkapellen sorgten für die Marschmusik. Kein Wunder, dass sich etwa 10.000 Zuschauer eingefunden hatten, um ja nicht dieses einmalige Ereignis zu versäumen. Die Begeisterung war groß - wenn da erst noch die Sonne geschienen hätte! Nun, dieses Fest war jedenfalls erfolgreich vorübergegangen und hatte dem Verein Gelegenheit geboten, sich in der Öffentlichkeit darzustellen und für die Trachtensache insgesamt recht augenfällig Werbung zu machen. Das stolze Herzeigen der Tracht bei solchen Anlässen gehört eben schon dazu, wenn auch viele dies kritisieren und es als unecht abtun.
Eine besonders erfreuliche Bestätigung für unsere Trachtler war deshalb der Kulturpreis des Landkreises Erding. Die offizielle, feierliche Verleihung fand am 17. Dezember 1982 statt. Egger Rupert jun., dem der Verein seinen fast kometenhaften Aufstieg ab den sechziger Jahren mit verdankt, konnte ihn nicht mehr entgegennehmen. Er hatte bei der Generalversammlung dieses Jahres ganz bewusst sein Vorstandsamt an die jüngere Garde, an Leo Melerowitz übergeben, der einen stolzen Verein mit 225 Mitgliedern übernehmen durfte. Derart ausgezeichnet konnte man am 18. und 19.Juni 1983 den 60sten Geburtstag des Vereins begehen. Zwar in etwas bescheidenerem Rahmen; aber immerhin drängten sich an die 3500 Gäste, darunter über ein Dutzend Trachtenvereine aus nah und fern beim Heimatabend im Volksfestzelt. Am Sonntag gaben Festgottesdienst, Kirchenzug und gemütliches Beisammensein der Feier einen schönen Abschluss. Als Dreingabe folgte vierzehn Tage später das Jahrhundertfest der bayerischen Trachtler in München, bei dem die Wartenberger in voller Stärke dabei waren und das bei allen Beteiligten den unauslöschlichen Eindruck hinterließ, sich in einer Gemeinschaft von Zehntausenden von gleichgesinnten Heimatfreunden zu befinden. Endlich hatte der Verein auch das Alter, vom Status des Patenkindes zu jenem des Paten überzuwechseln. Das war nämlich im Juni 1986 bei der Fahnenweihe der "Stoarösler" Dorfen : stolz heftet ein Wartenberger Deandl das Fahnenband an deren Stange. Viel Brauchtumspflege im weitesten Sinn hat der Verein schon immer betrieben, worüber ein weiterer Beitrag in diesem Heft zusätzlich vermittelt. Natürlich auch im geselligen, vereinsinternen Bereich. So gibt es eben keine lärmende Christbaum-Versteigerung, sondern eine heiter-besinnliche Nikolausfeier mit einem weihnachtlichen Spiel. Man würde es nun nicht mehr anders erwarten, als dass der Verein auch Hochzeiten von Mitgliedern stilvoll mitzugestalten versucht und später, wenn Nachwuchs da ist, auch aufs Weisat geht. Die Jugendpflege war schon immer ein besonderer Schwerpunkt, die große Anzahl von Kindern und Jugendlichen beweist es. Der Gau hat dies mit der Vergabe der Gaujugendleitertagung 1982 nach Wartenberg honoriert. Bei den Trachtenschauen sind ja die Kleinen sozusagen schon auf den 1. Preis in der Volkstracht abonniert. Bleibt in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen, dass die Großen um den 3. Platz herum pendeln und der Verein insgesamt schon einige Male den Meistpreis erringen konnte. Doch das Gaufest ist nicht alles. Das öffentliche Wirken der Wartenberger Trachtler ist äußerst vielfältig und zeigt sich in zahlreichen Veranstaltungen, an denen sie teilnehmen beziehungsweise, die sie selbst ausrichten.
Die Maibäume im Markt wurden schon immer von den Trachtlern aufgestellt und zwar nicht mit Kran, sondern mit "Schwaibln" und Muskelschmalz.
Dass sie alle bei der Fronleichnamsprozession mitgehen, ist selbstverständlich und so wundert es auch nicht, dass die Initiative zur mittlerweile traditionellen, vielbesuchten Trachtenwallfahrt des Isargaues nach Thaiheim von den Wartenbergern ausgegangen ist. Sie wallfahrten aber auch noch "privat" jedes Jahr zur Muttergottes in der Mooskapelle beim Ganslmaier. Ganz folgerichtig haben sie diese kleine Andachtsstätte in den Jahren 1986/87 mit den Besitzern zusammen selber renoviert. Über 700 Arbeitsstunden haben sie so gewerkelt, durch viele Brotzeiten der Hausleute recht erträglich gemacht. Der Bau selbst hat kaum etwas gekostet: ob Dachziegel, die von den Patenkindern aus Dorfen kamen, ob Verputz, Dachlatten, Glocke oder Herrichten der Kirchenbänke und der Wallfahrtsbilder. Die Einweihung durch Kreisdekan Mundigl am 19. Juli 1987 verlief im feierlichen Rahmen einer Feldmesse unter Mitwirkung von Marktkapelle und Männerchor Wartenberg. Wenn auch Kultusminister Zehetmair zu seinem Bedauern der Einladung nicht folgen konnte: mehrere hundert Gläubige waren da und erfreuten sich am geistlichen wie weltlichen Teil der Feier.
Bei der Leonhardifahrt sind die Trachtler in wachsender Anzahl vertreten, seit sie in Wartenberg überhaupt durchgeführt wird. Sogar über einen eigenen, original gestalteten und bemalten Truhenwagen verfügt der Verein seit 1988 dank Ehrenmitglied "Baberger-Sepp".
Schon lange Zeit, jeweils in den geraden Jahren, marschieren die Wartenberger beim Oktoberfest-Trachtenzug mit, häufig zusätzlich mit einem Wagen mit Erntekrone oder der Darstellung ländlichen Handwerks. 1988 wurde ihnen sogar die Ehre zuteil, die Kutsche von Ministerpräsident Strauß zu begleiten -wenige Wochen vor seinem Tod. Am Kirchweihsamstag 1990 durften sie zusammen mit der Marktkapelle den traditionellen Kirchweihauftakt am Marienplatz in München gestalten, den Tausende von Zuschauern begeistert verfolgten.
Seit 1988 findet regelmäßig im März/April das Frühjahrssingen, sozusagen ein musikalischer Heimatabend statt. Sänger und Musikanten aus der Umgebung, besonders aber die vereinseigenen Musik- und Gesangsgruppen, die sich in erfreulicher Weise entwickelt haben und auch z.B. an Weihnachtsfeier, Wallfahrt und Jahramt mitwirken, tragen zur Gestaltung bei. Verbindende Texte vermitteln tiefergehende Informationen zur Kultur- und Brauchtumsgeschichte von Wartenberg und Umland. Den Ursprung dieser Veranstaltungsreihe kann man wohl schon im Volksliedersingen und -musizieren des Isargaues sehen, das mit großem Erfolg am 11. März 1984 über die Bühne ging. Sonstige Heimatabende -in ganz großem Rahmen etwa der zur 825-Jahrfeier Wartenbergs im Jahre 1980- sind in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund getreten, seit der Verein regelmäßig am jährlichen Kreisheimatabend teilnimmt, an dem Trachtenvereine aus dem ganzen Landkreis mitwirken.
Am Rande seien noch erwähnt Volkstanzveranstaltungen in eigener Regie oder das Nikolaibergfest, das seit 1990 nach längerer Pause wieder stattfindet - die Tradition der Kellerfeste wird eben gern gepflegt! Bei der Einweihung des Flughafens München II waren Mitglieder des Vereins ebenso vertreten, wie die Buam bei der Verfilmung des "Bierkriegs" in der Fernsehserie "Josef Filser". Sogar ins Ausland wurden Verbindungen geknüpft. Im Mai 1987 fuhr eine große Vereinsabordnung nach Capel le Ferne in Südostengland, wo die Bevölkerung begeistert bayerisches Brauchtum beklatschte. Die dortigen Gastgeber erwiderten den Besuch Anfang Oktober. Im Rahmen der Öffnung nach Osteuropa stand über Ostern 1990 ein internationales Trachtentreffen in Brünn auf dem Programm. Auch hier fand ein Gegenbesuch statt. Trachtenkundliche Aktivitäten sind besonders zu erwähnen, die jeweils aus der Zusammenarbeit mit dem Kreisverein für Heimatschutz und Denkmalpflege hervorgegangen sind - man sollte ja eigentlich auch etwas über die Geschichte seines "Gwands" wissen. So im Juli 1990 die vergleichende Präsentation aller im Landkreis Erding getragenen Gebirgs- und Volkstrachten mit Beispielen und originalen Einzelstücken historischer ländlicher Kleidung. Dann ein Jahr später die volkskundlich fundierte Aufführung einer Bauernhochzeit im Erdinger Gäu um 1900; die Bühne war stilgerecht das Erdinger Bauernhausmuseum. Vom Brautpaar über die gesamte Hochzeitsgesellschaft bis hin zum Kammerwagen: alles konnte der Verein mit Hilfe zum Teil geliehener Kleidung stellen, hat er doch genügend fesche junge und "würdige" ältere Leute in seinen Reihen! Die Deandltracht wurde schon immer von weiblichen Vereinsmitgliedern selbst geschneidert.
Ab Mitte der 80er Jahre nahmen viele auch an einem Kurs für Riegelhaubenstickerei teil und können seitdem diese Auszier nach traditionellen Mustern in wertvollen originalen Materialien herstellen. Denn gute alte Riegelhauben sind ja immer seltener und teurer aufzutreiben. Die Trachtenbeschaffung und -instandhaltung verschlingt mit vielen Tausenden von Mark( jetzt EURO) jährlich ohnehin einen Großteil des Vereinsetats und ist in diesem Umfang möglich durch großzügige Zuschüsse von Marktgemeinde, Landkreis und Gau. So kamen etwa 1990 allein 28 vollständige neue Kindertrachten dazu. Um eine festere eigene finanzielle Basis zu erhalten, musste deshalb schon 1985 zum ersten Mal seit 15 Jahren der Mitgliederbeitrag um glatte 100% auf 24 DM für Männer und 12 DM für Frauen erhöht werden. Auch die rechtliche Verfassung und damit die Vereinssatzung bedurfte einer Änderung. Die beantragte Umwandlung in einen eingetragenen Verein wurde am 30. November 1988 durch Eintrag ins Vereinsregister vollzogen und gleichzeitig die Gemeinnützigkeit erlangt. Für einen Verein dieser Stärke ist dieser Status jedenfalls angebracht. Die Mitgliederzahl ist im letzten Jahrzehnt bis zum September 1992 kontinuierlich um 70 auf 293 angestiegen. Zwischen 110 und 120 sind dabei aktive Trachtenträger. Hinzu kommen noch 74 Kinder und jugendliche in Tracht. Letzteres ist sicher noch mit ein Verdienst von Rupert Egger, der es sich 26 Jahre lang bis 1987 nicht nehmen ließ, "seine" Kleinen selbst zu betreuen. Der Aufwärtstrend des Vereins hat also erfreulicherweise angehalten und wir wollen hoffen, dass dieser auch in Zukunft seinen wichtigen kulturellen Beitrag für Wartenberg und Umgebung leisten kann. Wenn der Volkstrachtenverein Wartenberg im Juni 1993 seinen 70sten Geburtstag feiert, wird das Motto wiederum sein:

"Möge Gottes weises Walten uns die Heimat, Sitt, Tracht und Brauch erhalten"

Jeder Wartenherger Trachtler wird sicherlich das Seinige dazu tun, denn zum Erhalten gehören zwei: einer, der erhält und einer, der sich erhalten lässt. Trotz der ..modernen Zeiten" sind die Aussichten alles andere als schlecht.

 

Fortsetzung folgt:

 
 
 
 
 
 

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